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Jüdisches Leben im LK Hildburghausen

Zur Erinnerung an jüdische Römhilderinnen und Römhilder


Verantwortung ist die Antwort aus der Vergangenheit für die Zukunft

Ehrlich, Babette – geb. Schulherr, 09.04.1867 Dormitz/Bayern, 05.05.1944 KZ Theresienstadt

Ehrlich, Carry – Emigration in die USA

Ehrlich, Emil – 27.07.1861 Römhild, 08.01.1933 Römhild

Ehrlich, Hermann – 1882 Römhild, 1939 Emigration in die USA

Ehrlich, Max – 08.01.1888 Römhild, gest. Internierungslager Gurs/Frankreich

Ehrlich, Sally – 17.02.1878 Römhild, Deportationsziel 25. April 1942 Krasnystaw/Distrikt Lublin

Elkan, Jenny – geb. Heß, 05.02.1874 Römhild, Freitod 20.05.1942 Eisenach

Elkan, Richard – 25.05.1862, 08.01.1920

Friedmann, Anna – geb. Kahn, 10.02.1892 Römhild, 1942 Ghetto Belzyce/Distrikt Lublin

Friedmann, Heinz (Meir) – 27.02.1919, Emigration nach Palästina

Friedmann, Gerd – 1924, Emigration nach Palästina

Friedmann, Max – 09.05.1887 Berkach, 1942 Ghetto Belzyce/Distrikt Lublin

Friedmann, Salomon – 17.06.1870, Emigration in die USA

Friedmann, Ida – geb. Kahn, 14.06.1872, Emigration in die USA

Friedmann, Hilde – 29.08.1901, Emigration in die USA

Friedmann, Frieda – geb. Rosenbaum, 21.06.1855 Römhild, 12.11.1942 KZ Theresienstadt

Hammerstein, Klara – geb. Heß, 08.04.1877 Römhild, 16.05.1944 Vernichtungslager Auschwitz

Kahn, Adolf – 25.09.1889 Römhild, Deportationsziel 19.03.1943 Vernichtungslager Auschwitz

Kahn, Frieda – geb. Linke, 18.05.1895 Schottwitz/Landkreis Breslau, 05.03.1946 Römhild

Kahn, Nanny – geb. Seligmann, 11.08.1867 Gleicherwiesen, 12.07.1943 KZ Theresienstadt

Katz, Jenny – geb. Ehrlich, 17.08.1874 Römhild, Oktober 1942 Vernichtungslager Auschwitz

Lefor, Isidor – 11.09.1881 Barchfeld, Deportationsziel 12.08.1942 Vernichtungslager Auschwitz

Lefor, Margarete – geb. Kahn, 17.08.1893 Römhild, 08.02.1942 Internierungslager Pau/Frankreich

Löwenstein, Käthe – geb. 27.02.1917, Emigration in die USA

Naumann, Hanna – 15.08.1937 Römhild, Deportationsziel 10.05.1942 Ghetto Belzyce/Distrikt Lublin

Naumann, Hugo – 26.10.1898 Gailingen/Baden, Deportationsziel 10.05.1942 Ghetto Belzyce/Distrikt Lublin

Naumann, Margot – 01.04.1933, 30.06.1933

Naumann, Martha – geb. Ehrlich, 14.10.1898 in Römhild, Deportationsziel 10.05.1942 Ghetto Belzyce/Distrikt Lublin

Naumann, Mathel – 03.10.1938 Römhild, Deportationsziel 10.05.1942 Ghetto Belzyce/Distrikt Lublin

Naumann, Ruth – 12.05.1935 Römhild, Deportationsziel 10.05.1942 Ghetto Belzyce/Distrikt Lublin


Rede zum 9.11.2015 in Römhild anlässlich der Enthüllung der Stele zur Erinnerung an die jüdischen Römhilderinnen und Römhilder

Heute Abend jährt sich zum 77. Mal die Reichspogromnacht, die Nacht, in der die Juden offiziell vom deutschen Staat zu „Vogelfreien“ erklärt worden sind.

Bei diesem Pogrom - ein russischer Begriff, der Verwüstung und Zerstörung bedeutet – wurden etwa 400 Menschen ermordet oder in den Suizid getrieben. Über 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige jüdische Versammlungsräume sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe zerstörten bereitwillige Nazis.

Ab dem 10. November wurden ungefähr 30.000 Juden – Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren – in Konzentrationslagern inhaftiert, von denen Hunderte ermordet wurden oder an den Haftfolgen starben.

Im KZ Buchenwald kamen in den Tagen um den 9. November 9845 Juden an, auch Max Friedmann aus Römhild.

Heute, am 9. November 2015, 77 Jahre später, erinnern wir an die Schicksale der Römhilder Jüdinnen und Juden mit dieser Stele.

Darauf befinden sich 29 Namen.

Anstoß zu dieser öffentlichen Erinnerung gab der heute 90jährige Gert (Gad) Friedmann, der letzte lebende Familienangehörige der Friedmanns, der selbst noch in Römhild, in der heutigen Heurichstraße gelebt hat.

Sein gesamtes Leben nach der Flucht aus Deutschland setzte er für das Gedenken an seine Eltern, Großeltern und die Weitergabe des Wissens um die Römhilder Vergangenheit an seine Kinder und Enkelkinder ein.

Sein bereits verstorbener Bruder Heinz (Meir) Friedmann und er haben nach der politischen Wende 1989 Römhild öfter besucht. 1990 schrieb Gert nach seinem ersten Besuch: „Wenn ich schon kein Grab meiner Eltern besuchen kann, so möchte ich doch wenigstens die Orte besuchen, an denen sie gelebt haben.“

Ein kurzer Einblick in die Familiengeschichte:
Nachdem es den Eltern Max und Anna Friedmann gelang, ihre drei Kinder Heinz, Gert und Käthe ins Ausland zu schicken, galt ihr Bestreben – wie auch das der anderen Juden Römhilds – ein sicheres Land für ihre eigene Ausreise zu finden. Spätestens nach dem Erlass der Nürnberger Rassegesetzte 1935 sahen sie keine Zukunft mehr in Deutschland. Das Problem bestand allerdings darin, dass viele Länder in der Welt keine älteren, mittellosen Flüchtlinge aufnahmen oder kurz vor der Ankunft der Schiffe die Einfahrt verweigerten oder die Flüchtlinge den Nazis überließen oder Bürgschaften verlangten usw.

Gründe dafür nicht zu helfen, gab es genug,. Hinzu kam der Ausbruch des Krieges 1939. So erhielten Anfang Mai 1942 alle verbliebenen Römhilder Juden die Nachricht, dass sie zur „Umsiedlung“ bestimmt seien und sich am Neunten des Monats in Erfurt einzufinden hätten. Zwei Tage vor ihrer Deportation schrieben Max und Anna Friedmann an ihre Kinder einen Abschiedsbrief und deponierten ihn bei Bekannten in Meiningen. Die Eltern wurden am 55. Geburtstag von Max Friedmann nach Weimar gebracht und von dort mit Hunderten Thüringer Juden in den Osten nach Belzyce und damit in den sicheren Tod deportiert. Die Großmutter der Friedmanns, Nanny Kahn, verstarb am 12.7.1943 im KZ Theresienstadt.

Erst fünf Jahre später, als alle Familienmitglieder der Familie Friedmann ausgelöscht waren, erhielten die Kinder diesen Abschiedsbrief ihrer Eltern.

Wir kommen heute dem Wunsch von Gert Friedmann nach und er weiß es – leider kann er aufgrund seines Alters nicht dabei sein. Doch Fotos von dieser Veranstaltung und von der Stele werden ihm davon erzählen.

Für Sie ein kurzer Einblick in die Geschichte der jüdischen Gemeinde:
In Römhild sind Juden bereits im Mittelalter nachgewiesen. Der erste Nachweis stammt aus dem Jahr 1298, als sie von der Judenverfolgung durch die Banden des Metzgers mit Namen Rintfleisch betroffen waren. Diese zogen mordend durch Franken und Thüringen und töteten ca. 5000 Juden.

Jahrzehnte später kam es in Römhild zu einer Neuansiedlung von Juden und nach dem Übergang der Stadt an die Wettiner Markgrafen 1555 sollen alle Juden ausgewiesen worden sein.

Im Jahre 1750 ergab eine Volkszählung, dass in Römhild 18 jüdische Familien lebten.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zogen einige Familien aus benachbarten Gemeinden nach Römhild. Doch blieb die Zahl der jüdischen Einwohner klein – 20 bis 30 Personen in vier bis fünf Familien. Es handelte sich insbesondere um die Familien Ehrlich als die erste der zugezogenen jüdischen Familien in Römhild.

Jüdische Familien eröffneten mehrere Geschäfte. Um 1920 war Meier Friedmann Inhaber eines Eisenwaren- und Haushaltswarengeschäftes (dieses wurde später von seinem Sohn Max Friedmann übernommen), Adolf Kahn war Inhaber eines Manufakturwarengeschäftes, Salomon Friedmann hatte eine Viehhandlung. Sie alle waren in der Stadt integriert: z. B. engagierte sich Max Friedmann bis nach 1933 als Angehöriger der Freiwilligen Feuerwehr.

1933 lebten 33 Menschen jüdischen Glaubens in Römhild.

In den folgenden Jahren ist ein Teil von ihnen auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert:

  • Heinz und Gert Friedmann nach Palästina; ihre Schwester Käthe in die USA
  • Salomon, Ida und Hilde Friedmann ebenfalls in die USA
  • Herrmann und Carry Ehrlich emigrieren nach England, später in die USA


Diese acht Römhilder überlebten nur durch ihre Flucht.

Beim Novemberpogrom 1938 wurde Max Friedmann verhaftet und in das KZ Buchenwald verschleppt.

1939 wurde das Haus der Familie Kahn in der Heurichstraße 8 zum sogenannten „Judenhaus“. Die noch in Römhild lebenden jüdischen Personen mussten hier einziehen, bis sie im Jahr 1942 in Vernichtungslager deportiert wurden.

Jenny Elkan wählte 1942 noch vor ihrer Deportation den Freitod. Das Jahr 1942 wurde für die überwiegende Mehrzahl der Juden das Schicksalsjahr – das Jahr der Deportation in die sogenannten Konzentrationslager – ich nenne sie lieber alle Vernichtungslager.
  • Im KZ Theresienstadt starben zwei Römhilder.
  • Im VL Auschwitz starben vier Römhilder.
  • Im District Lublin – Polen – starben acht Römhilder.
  • In Frankreich starben zwei Römhilder.


Die Umstände ihres Todes werden wohl nie aufgeklärt werden können. Als einzige jüdische Einwohnerin überlebte in der Stadt Frieda Kahn, geb. Linke, die nach ihrer Heirat mit Adolf Kahn zum Judentum konvertiert war. Sie musste viele Anfeindungen und Demütigungen erleben, doch sie starb am 5. Juni 1946 im Meininger Krankenhaus eines natürlichen Todes und wurde in Römhild beigesetzt.

An andere Juden soll erinnert werden – zwei Orte spielen dabei eine besondere Rolle:
  • Auf dem Römhilder Friedhof am Mühlendamm findet sich eine Gedenkstätte für 169 Opfer des von der SS auf Wunsch des Bürgermeisters von Römhild, SS-Obersturmführer Alfred Schmitt, eingerichteten „Arbeitserziehungslagers 'Großer Gleichberg'“. In der Liste steht auch der Namen von Israel Schönthal. Die im „Arbeitserziehungslager“ zur Zwangsarbeit verpflichteten Personen starben an den katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen (u.a. beim Abbau von Basaltbrocken). Ein Teil der 169 Opfer wurde in zwei Massengräbern am Osthang des Großen Gleichberges beigesetzt.
  • Im 4 km von Römhild entfernten Stadtteil Waldhaus findet sich ein „Weg des Gedenkens“ für den Massenmord an 70 KZ-Häftlinge verschiedener Nationen – darunter mit Sicherheit auch Juden – im März 1945. Die Toten wurden 1947 in einem Ehrenhain des Friedhofs in Hildburghausen beigesetzt.


Über das Leben der jüdischen Römhilder ist fast nichts bekannt. 2004 forschten zwei Abiturientinnen des Hildburghäuser Gymnasiums Georgianum, Caroline Bartholomäus und Susanne Henneberger, zur Familiengeschichte der Friedmanns. Das war ein Anfang. Viele unentdeckte Akten schlummern in den Thüringischen Archiven – auch die zu den Tätern.

Schülerinnen und Schüler, sucht nach diesen Akten und auch die letzten Zeitzeugen können noch befragt werden. Erfüllt die jüdische Geschichte mit einstigem Leben – mit lustigen und traurigen Geschichten von Römhilderinnen und Römhildern. Erkennt, was der Nationalsozialismus aus Deutschen gemacht hat: Mörder, Zuschauer, Angsterfüllte – und nur wenige besaßen den Mut, dem unmenschlichen System Menschlichkeit entgegenzusetzen bzw. gegen den NS aktiv zu kämpfen.

Das sollte uns ein Achtungszeichen sein, um allem rechtsextremen Gedankengut und allen menschenfeindlichen Aktionen in unserer Region entschlossen und mutig entgegenzutreten.

Menschlichkeit sollte oberstes Gebot allen Handelns sein!

Wie auf dem Stein steht: Nur Verantwortung kann die Antwort aus der Vergangenheit für die Zukunft sein!

Ein jüdisches Ritual, das aus der Zeit der Wanderung durch die Wüste stammt, ist das Legen eines Steines als Zeichen des Erinnerns und Wertschätzens auf das Grab des geliebten Menschen.

Wer möchte, kann nun als Zeichen der Erinnerung an die Jüdinnen und Juden der Stadt Römhild auf und neben die Stele einen Stein legen. Wir erinnern uns!